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Urteil Versicherungsgericht (SG)

Zusammenfassung des Urteils UV 2007/90: Versicherungsgericht

Die Sekretärin H. meldete einen Bagatell-Unfall, bei dem sie sich den Zahn brach. Die Versicherung lehnte die Leistungen ab, da kein ungewöhnlicher äusserer Faktor vorlag. Nach Einspruch und Beschwerde wurde die Klage abgewiesen, da der Unfall nicht als solcher im rechtlichen Sinne betrachtet wurde. Es wurde festgestellt, dass die Version der Versicherten nachträgliche Überlegungen enthielt und somit nicht als glaubwürdig angesehen wurde. Die Beschwerdegegnerin wies darauf hin, dass der Schaden nicht als unfallähnliche Körperschädigung anzusehen sei. Letztendlich wurde die Beschwerde abgewiesen und es wurden keine Gerichtskosten erhoben.

Urteilsdetails des Kantongerichts UV 2007/90

Kanton:SG
Fallnummer:UV 2007/90
Instanz:Versicherungsgericht
Abteilung:UV - Unfallversicherung
Versicherungsgericht Entscheid UV 2007/90 vom 11.12.2007 (SG)
Datum:11.12.2007
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Art. 4 ATSG, Art. 6 UVG, Art. 9 UVV. Unfallgeschehen nicht genügend glaubhaft gemacht (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 11. Dezember 2007, UV 2007/90).
Schlagwörter : Unfall; Sachverhalt; Körper; Faktor; Versicherung; Allianz; Unfallversicherung; Ereignis; Darstellung; Sachverhalts; Person; Gericht; Körperschädigung; Wasser; Ungewöhnlichkeit; Unfalls; Hinweisen; Versicherer; Schaden; Berufs; Schaufelzahn; Faktors; Rechtssinn; Anspruch; Leistungen; Küche
Rechtsnorm:Art. 6 UVG ;
Referenz BGE:116 V 140; 121 V 47; 122 V 162; 122 V 233;
Kommentar:
-

Entscheid des Kantongerichts UV 2007/90

Vizepräsident Joachim Huber, Versicherungsrichterinnen Christiane Gallati Schneider und Lisbeth Mattle Frei; Gerichtsschreiberin Susanne Bertschler

Entscheid vom 11. Dezember 2007 in Sachen

H. ,

Beschwerdeführerin, gegen

Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft, Hohlstrasse 552, Postfach, 8048 Zürich, Beschwerdegegnerin,

betreffend Versicherungsleistungen Sachverhalt:

A.

Die 1951 geborene H. ist als Sekretärin bei der A. angestellt und in dieser Funktion bei der Allianz Suisse, Versicherungsgesellschaft, obligatorisch gegen die Folgen von Berufsund Nichtberufsunfällen versichert. Am 11. September 2006 liess sie einen Bagatell-Unfall melden. Sie gab an, am Abend des 21. Juli 2006 beim Trinken das Glas an den linken Schaufelzahn geschlagen zu haben. Mit Schreiben vom 14. September 2006 teilte die Allianz der Versicherten mit, mangels eines ungewöhnlichen äusseren Faktors liege kein Unfall im Rechtssinn vor. Somit bestehe kein Anspruch auf Leistungen der Unfallversicherung. Die Versicherte teilte der Allianz am 8. November 2006 per E-Mail als Ergänzung der Schadenanzeige mit, sie habe am 21. Juli 2006 in der Küche ein Glas Wasser trinken wollen. Während sie das Glas an den Mund geführt und sich einen Schritt rückwärts habe bewegen wollen, sei sie gestolpert und mit dem Kopf gegen die offene Türe der Küchenkombination geprallt. Gleichzeitig sei sie mit dem vollen Glas derart heftig gegen den Schaufelzahn gestossen, dass dessen Wurzel gebrochen sei. Der Schlag gegen den Zahn sei derart gravierend gewesen, dass das Vorkommnis kaum als alltäglich angesehen werden könne, umso mehr als es ihr noch nie passiert sei.

B.

    1. Mit Verfügung vom 21. November 2006 lehnte die Allianz eine Leistungspflicht für das Ereignis vom 21. Juli 2006 ab. Aufgrund der Rechtsprechung zur "Aussage der ersten Stunde" sei auf die Sachverhaltsdarstellung in der Unfallmeldung abzustellen. Es sei am Wahrscheinlichsten, dass sich das Ereignis tatsächlich entsprechend dieser Darstellung zugetragen habe. Die zweite Version sei erst nach der Information der Versicherten über den Unfallbegriff entstanden und habe daher als weniger wahrscheinlich zu gelten. Zudem sei die ergänzende Darstellung erst mit einer Verzögerung von zwei Monaten eingetroffen. Gemäss der Unfallmeldung vom 11. September 2006 sei die Versicherte am 21. Juli 2006 beim Trinken nicht durch etwas Aussergewöhnliches gestört worden. Da somit kein ungewöhnlicher äusserer Faktor vorliege, stelle das Ereignis keinen Unfall im Rechtssinn dar.

    2. Dagegen richtete sich die vom Ehemann der Versicherten am 12. November 2006 per E-Mail eingereichte und alsdann von der Versicherten innert angesetzter Frist unterschriftlich bestätigten Einsprache. Bei der ersten Meldung habe es sich um eine

      kurze Darstellung zur vorsorglichen Anmeldung des Falls gehandelt, ohne Wissen über den weiteren Schadensverlauf. Im zweiten Schreiben sei der Tathergang detailliert erörtert und in keiner Weise anders dargelegt worden. Der Zahnschaden sei damals vom Zahnarzt akut behandelt worden. Im Moment sei noch nicht absehbar, welche Behandlung notwendig sei. Dies sei auch der Grund für die verzögerte Reaktion auf die erste Leistungsablehnung.

    3. Mit Entscheid vom 3. Juli 2007 wies die Allianz die Einsprache ab. Abzustellen sei auf die erste Sachverhaltsschilderung. Diese erscheine wahrscheinlicher als die zweite, die bereits von nachträglichen Überlegungen versicherungsrechtlicher Art beeinflusst sei. Gemäss den zitierten Gerichtsurteilen stelle das Ansetzen eines Wasserglases an den Mund nichts Ungewöhnliches dar, selbst wenn dies mit einer gewissen Heftigkeit erfolge und das Glas an die Zähne schlage. Auch wenn der Versicherten solches bisher nicht passiert sei, handle es sich dabei um etwas durchaus Gewöhnliches, das im Alltag hin und wieder passiere. Das Begriffsmerkmal der Ungewöhnlichkeit sei nicht erstellt. Da auch keine unfallähnliche Körperschädigung vorliege, bestehe kein Anspruch auf Leistungen der Unfallversicherung.

C.

Dagegen richtet sich die von der Versicherten eingereichte Beschwerde vom 25. Juli 2007 mit dem Antrag auf Kostenübernahme der Zahnbehandlung durch die Beschwerdegegnerin. Bei der ersten Meldung habe es sich lediglich um eine Kurzdarstellung des Sachverhalts gehandelt, wie dies üblich sei. In Ausnahmefällen würden danach noch Präzisierungen angefordert. Das Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 14. September 2006 habe sie veranlasst, den Sachverhalt im Detail darzustellen. Die Beschwerdegegnerin räume nun zwar ein, dass sich die Aussagen nicht widersprechen würden. Gleichzeitig unterstelle sie ihr aber, die Unwahrheit zu sagen und bezeichne den geschilderten Sachverhalt als Schutzbehauptung und als unwahrscheinlich.

D.

Mit der Beschwerdeantwort vom 13. August 2007 beantragt die Beschwerdegegnerin Abweisung der Beschwerde. Unabhängig von der Frage, ob zwischen den beiden Sachverhaltsdarstellungen eine Divergenz bestehe, vertrete sie die Ansicht, dass die Beschwerdeführerin das Wasserglas an den linken Schaufelzahn geschlagen habe, ohne dass dabei etwas Programmwidriges wie Stolpern Stossen vorgefallen sei. Unter den möglichen Geschehensabläufen sei dies der wahrscheinlichste.

E.

Die Beschwerdeführerin hat auf eine Replik verzichtet. Erwägungen:

1.

Strittig und zu prüfen ist, ob das Geschehen vom 21. Juli 2006 einen Unfall im Rechtsinn darstellt und verneinendenfalls ob es sich dabei um eine unfallähnliche Körperschädigung handelt. Die Beschwerdegegnerin verneint sowohl das Vorliegen eines Unfalls wie auch einer unfallähnlichen Körperschädigung.

2.

    1. Nach Art. 6 des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung (UVG; SR 832.20) werden die Versicherungsleistungen, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, bei Berufsunfällen, Nichtberufsunfällen und Berufskrankheiten gewährt. Unfall ist die plötzliche, nicht beabsichtigte, schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den menschlichen Körper, die eine Beeinträchtigung der körperlichen geistigen Gesundheit den Tod zur Folge hat (Art. 4 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts [ATSG; SR 830.1]). Dabei bezieht sich das Begriffsmerkmal der Ungewöhnlichkeit nicht auf die Wirkung des äusseren Faktors, sondern auf den Faktor selbst. Ohne Belang für die Prüfung der Ungewöhnlichkeit ist somit, dass der äussere Faktor allenfalls schwerwiegende, unerwartete Folgen nach sich gezogen hat. Ein äusserer Faktor ist aussergewöhnlich, wenn er den Rahmen des im jeweiligen Lebensbereich Alltäglichen Üblichen überschreitet. Ob dies zutrifft, beurteilt sich im Einzelfall, wobei

      grundsätzlich nur die objektiven Umstände in Betracht fallen (RKUV 2000 Nr. U 368 S. 99 E. 2b mit Hinweisen; BGE 122 V 233 E. 1, 121 V 38 E. 1a, je mit Hinweisen). Bei unkoordinierten Bewegungen ist das Merkmal der Ungewöhnlichkeit erfüllt, wenn ein in der Aussenwelt begründeter Umstand den natürlichen Ablauf einer Körperbewegung gleichsam "programmwidrig" beeinflusst hat, was beispielsweise dann zutrifft, wenn die versicherte Person stolpert, ausgleitet an einen Gegenstand anstösst wenn sie, um ein Ausgleiten zu verhindern, eine reflexartige Abwehrhaltung ausführt auszuführen versucht (RKUV 2004 Nr. U 502 S. 183 E. 4.1). Der Bundesrat kann sodann Körperschädigungen, die den Folgen eines Unfalls ähnlich sind, in die Versicherung einbeziehen (Art. 6 Abs. 2 UVG). In Art. 9 Abs. 2 der Verordnung über die Unfallversicherung (UVV; SR 832.202) hat er in einer abschliessenden Aufzählung folgende Körperschäden auch ohne ungewöhnliche äussere Einwirkung den Unfällen gleichgestellt, sofern sie nicht eindeutig auf eine Erkrankung eine Degeneration zurückzuführen sind: Knochenbrüche, Verrenkungen von Gelenken, Meniskusrisse, Muskelrisse, Muskelzerrungen, Sehnenrisse, Bandläsionen sowie Trommelfellverletzungen.

    2. Im Unfallversicherungsrecht herrscht, wie allgemein im Sozialversicherungsrecht der Untersuchungsgrundsatz. Der Unfallversicherer und im Streitfall das Gericht haben den Sachverhalt von Amtes wegen zu ermitteln. Indessen ist die leistungsansprechende Person gesetzlich verpflichtet, dabei mitzuwirken. Praxisgemäss muss sie die einzelnen Umstände des Unfalls glaubhaft machen. Kommt sie dieser Forderung nicht nach, indem sie unvollständige, ungenaue widersprüchliche Angaben macht, die das Bestehen eines unfallmässigen Schadens als unglaubwürdig erscheinen lassen, besteht keine Leistungspflicht der Unfallversicherung. Im Streitfall obliegt es dem Gericht, zu beurteilen, ob die einzelnen Voraussetzungen des Unfallbegriffs erfüllt sind. Der Untersuchungsmaxime entsprechend hat es von Amtes wegen die notwendigen Beweise zu erheben und kann es zu diesem Zweck auch die Parteien heranziehen. Wird auf Grund dieser Massnahmen das Vorliegen eines Unfallereignisses nicht wenigstens mit Wahrscheinlichkeit erstellt - die blosse Möglichkeit genügt für die Begründung eines Leistungsanspruchs nicht -, so hat dieses als unbewiesen zu gelten, was sich zu Lasten der den Anspruch erhebenden Person auswirkt (BGE 116 V 140 E. 4b, 114 V 305 E. 2b; RKUV 1990 Nr. U 86 S. 50).

    3. Bei sich widersprechenden Angaben der versicherten Person über den Unfallhergang kann praxisgemäss auf die Beweismaxime abgestellt werden, wonach die so genannten spontanen "Aussagen der ersten Stunde" in der Regel unbefangener und zuverlässiger sind als spätere Darstellungen, die bewusst unbewusst von nachträglichen Überlegungen versicherungsrechtlicher anderer Art beeinflusst sein können. Wenn die versicherte Person ihre Darstellung im Lauf der Zeit wechselt, kommt den Angaben, die sie kurz nach dem Unfall gemacht hat, in der Regel grösseres Gewicht zu als jenen nach Kenntnis einer Ablehnungsverfügung des Versicherers (BGE 121 V 47 E. 1a mit Hinweisen).

3.

    1. Wer vom Versicherer Leistungen beanspruchen will, hat also eine plausible und überzeugende Schilderung des Unfallhergangs zu liefern. Blosse Vermutungen genügen nicht. Ebensowenig kann der Versicherer gezwungen werden, die Angaben der versicherten Person bedingungslos anzuerkennen. Sind ihre Angaben ungenau gar widersprüchlich vermag sie das Unfallgeschehen nicht überzeugend darzutun, so erscheint das Vorliegen eines Unfalls nicht glaubhaft. Vorliegend ist einzuräumen, dass die im Schreiben vom 8. November 2006 enthaltene Schilderung des Unfallhergangs als detaillierte Ergänzung und nicht als eigentlicher Widerspruch zur ursprünglichen Unfallmeldung gesehen werden kann. Wäre die Versicherte allerdings, als der Zahnbruch nach dem als gravierend bezeichneten Ereignis im Juli 2006 festgestellt worden war, der Auffassung gewesen, beim Anschlagen an das Wasserglas sei etwas Besonderes vorgefallen, so muss angenommen werden, dass sie dies unverzüglich (wie dies im Übrigen auch ihre Pflicht gewesen wäre) dem Versicherer gemeldet hätte. Dies hat sie indessen erst im September 2006 mit einer Kurzdarstellung des Sachverhalts getan. Insbesondere wenn die Zahnwurzel wie vorliegend beim Ereignis tatsächlich brach, was bereits unmittelbar nach dem Vorfall hätte festgestellt werden können, ist eine derart verspätete Meldung nicht nachvollziehbar. Daran vermag auch die fehlende Kenntnis über den weiteren Behandlungsverlauf nichts zu ändern. Auch die Verzögerung um weitere zwei Monate bis zur zweiten Stellungnahme, lässt sich damit nicht plausibel erklären. Es mag daher möglicherweise zutreffen, dass sich das Ereignis so abgespielt hat, wie dies die

      Beschwerdeführerin nun darlegt. Wahrscheinlich erscheint diese Darstellung unter Berücksichtigung der gesamten Umstände nicht.

    2. Die Behauptung der Beschwerdeführerin, dass die Zahnwurzel beim Anschlagen an ein Trinkglas brach, wozu es kam, weil sie beim Ausweichen vor einer offenen Küchenschranktür ins Stolpern geraten war, ist somit nicht genügend glaubhaft gemacht. Genauso wahrscheinlich ist, dass der Schaden beim blossen Anstossen mit dem Trinkglas an den Zahn, was praxisgemäss kein Unfall im Rechtssinn ist (RKUV 1996 Nr. U 243 S. 137), eingetreten ist. Da weitere Beweisabnahmen nichts zur Klärung des Sachverhalts beitragen könnten, ist darauf zu verzichten (antizipierte Beweiswürdigung: BGE 122 V 162 Erw. 1d mit Hinweisen). Somit liegt Beweislosigkeit vor, deren Folgen die Beschwerdeführerin zu tragen hat, die aus dem unbewiesen gebliebenen Sachverhalt Rechte ableiten wollte.

4.

Da der geltend gemachte Zahnschaden mit keiner der in Art. 9 Abs. 2 lit. a h UVV aufgezählten Verletzungen gleichzusetzen ist, besteht auch keine Leistungspflicht wegen unfallähnlicher Körperschädigung.

5.

Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist die Beschwerde abzuweisen. Gerichtskosten sind nach Art. 61 lit. h ATSG keine zu erheben.

Demgemäss hat das Versicherungsgericht

im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 53 GerG entschieden:

  1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

  2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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